Spricht man von Speiseeis, denkt man nicht nur in Italien an die Täler der Region um Belluno, des Cadore und des Zoldano. Bereits um die Mitte des 19. Jahrhunderts nahm die Emigration der Eishersteller von hier ihren Ausgang. Der unumstrittene Verdienst der Speiseeishersteller dieser Region ist nicht, wie manch einer glauben mag, die Erfindung dieser Kunst, sondern deren Verbreitung und Weiterentwicklung in Italien, in Mitteleuropa sowie auch in Übersee.
Ein Artikel des Wirtschaftsblattes der Wirtschaftskammer Belluno vom Januar 1960 identifiziert nachweislich exakt das Gebiet, aus dem die Eishersteller emigrierten.
Anlass des Artikels war die erste „Mostra del Gelato di Longarone" Anfang Dezember 1959. Angesichts des großen Erfolges dieser Fachmesse sah sich der Journalist Fiorello Zangrando moralisch verpflichtet, Materialien über die Tätigkeit unserer Speiseeishersteller, die in den Tälern von Ma", Boite Piave, Zoldano, Cadore und Valcellina ansässig waren, zusammen zu tragen.
Das wachsende Interesse am Handwerk der Speiseeishersteller breitete sich ab den 60er Jahren auch auf weitere Gebiete im Raum Belluno und des nördlichen Treviso aus.
Mit der Veröffentlichung dieser Broschüre möchten auch wir einen kleinen Beitrag leisten, um das Interesse am geschichtlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Erbe, sowie an der Tradition der Herstellung von Speiseeis aufrecht zu erhalten.
EIN AUSWANDERUNGSPHÄNOMEN AB MITTE DES 19. JAHRHUNDERTS
Die Evolution dieses Auswanderungsphänomens, welches heute noch einige tausend Familien aus den genannten Gebieten betrifft, kann in drei Phasen aufgegliedert werden.
1. Die erste Phase entspricht den ersten Auswanderungsinitiativen und der ersten Entfaltung des Phänomens, etwa von 1850 bis 1939, die von Seiten der Cadorer und Zoldaner in Richtung Städte von Lombardo-Venetien, vor allem aber in Richtung Wien, Deutschland, Tschechoslowakei, Ungarn und entlang der Ostseeküste. Eine Unterbrechung gab es von 1915 bis 1920 aufgrund des ersten Weltkrieges.
2. Die zweite Phase ging circa von 1949 bis 1975. Es kam zu einer Ausdehnung auf die bereits genannten Auswanderungsgebiete. Abgesehen von Cadorern und Zoldanern, emigrierte man nun auch aus Belluno, Treviso und Friaul. Das Ziel war vorwiegend die Bundesrepublik Deutschland, insbesondere das Ruhrgebiet, entlang dem Rhein/Main und die Industriestädte Berlin, Hannover, Stuttgart, München, sowie auch die Länder Holland, Spanien und Südamerika.
3. Die dritte Phase, von den 80er Jahren bis heute, entspricht einer Stabilisierung des Phänomens in Europa und in der gesamten Welt. Italienische Eisdielen gibt es heute in nahezu allen deutschen Städten.
EIN BEDEUTENDER FAKTOR IN DER REGION
Die genannten Ereignisse haben seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis heute sowohl die Geschichte, als auch die Kultur der betroffenen Region beeinflusst und haben einen entscheidenden Beitrag zur sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung geleistet. Heute noch verlassen die Bewohner mit Frühlingsbeginn ihre Heimat, um sich in den großen Zentren Europas niederzulassen.
Ein Epos der Speiseeismacher im wahrsten Sinne, welches bedeutende Spuren in der Region hinterlassen hat: Geschichten, Dokumentationen, Materialien und Geräte, die vom Leben der Speiseeishersteller und, nicht zu vergessen, von den Weiterentwicklungen des Sektors zeugen. Es wäre schade, wenn diesem Vermögen nicht die entsprechende Würdigung zukäme.
ERFINDUNGEN WELCHE DIE GESCHICHTE DER EISPRODUKTION BEREICHERN
Es sei erwähnt, dass mit der Weiterentwicklung der Speiseeisproduktion und deren Verbreitung, sich die Speiseeishersteller der Region mit technologisch fortschrittlichen Geräten industrialisiert haben, um Arbeitsvorgänge zu beschleunigen und zu erleichtern.
Die Anfänge waren mühsam, doch die Gelatieri aus den besagten Regionen haben Durchhaltevermögen und Kreativität bewiesen, wie zum Beispiel im Jahre 1894, als die Wiener Behörden die Lizenz für das Wandergewerbe verweigerten, um zu verhindern, dass die Speiseeishersteller aus Zoldano und Cadore den österreichischen Konditoreien zur Konkurrenz wurden. So kam es zur Gründung der ersten Eisdielen: kleine Lokale wurden angemietet und diese mit Tischen, Bänken und Petroleumlampen ausgestattet.
Ein weiteres Beispiel ist der aus Peaio di Vodo di Cadore stammende und nach Amerika auswandernde, Halo Marchioni, der seit dem 19. Jahrhundert verschiedene Versuche gestartet hatte und am 13. Dezember 1903 ein Patent für einen Modell zur Herstellung von Speiseeistüten und -waffeln anmeldete, wie vom Patentamt in Washington bestätigt.
DAS PHÄNOMEN „GELATERIE VENETE"
Unter den Begebenheiten, welche die Entwicklung des Speiseeissektors kennzeichnen, und angesichts der engen Verbundenheit der Speiseeishersteller zu ihrer Heimatregion, ist das Phänomen „Gelaterie Venete" besonders erwähnenswert. Unter diesem Markenzeichen begannen sich die Speiseeishersteller zu Beginn des 19. Jahrhunderts in diversen italienischen Regionen niederzulassen: entlang der adriatischen Riviera, sowie in der Toskana, in Umbrien, in den Abruzzen, in der Lombardei und im Piemont.
Die Eishersteller aus den Tälern Cadore und Zoldo hatten bereits zu jener Zeit die Bedeutung eines einheitlichen Markenzeichens erkannt und zu nutzen gewusst, welches ein bekanntes und geschätztes Traditionsprodukt identifizierte.
VOM HERSTELLER ZUM LIEFERANTEN
Gegen Ende der 60iger Jahre begannen einige Speiseeishersteller ihre langjährige Erfahrung umzusetzen und gründeten Unternehmen, die sich auf die Herstellung von Geräten, Mobiliar und Produkten, die für die Herstellung von Speiseeis erforderlich sind. spezialisierten. Als Produktionsbezirk hat sich insbesondere das Gebiet uni Treviso entwickelt. Idealer Ort für die Promotion ihrer Produkte war ah sofort die Mostra del Gelato (Eismesse) von Longarone. Die Teilnahme an der M.I.G. war nämlich für die Kontaktaufnahme mit den Speiseeisherstellern grundlegend und besonders mit den Gelatieri, die im Ausland tätig waren und nach der Arbeitssaison im Winter in ihre Heimat zurückkehrten.
EINE EINZIGARTIGE TRADITION
Die angeführte Entwicklung des Sektors hebt die Inhaltsvielfältigkeit und die Besonderheit einer Tradition hervor, die in Italien umfangmäßig nichts Vergleichbares aufzuweisen hat („es handelt sich hier um ein klassisches Beispiel für spezialisierte Auswanderung, einheitlich im Ursprung, aber zerstreut hinsichtlich der Bestimmungsorte"). In dieser Tradition und deren Ursprungsregion sind die Geschichte, die professionelle Entwicklung sowie das Wissen der Gelatieri verwahrt, die dieses Epos kennzeichnen und die mit allgemeinen positiven Auswirkungen weiter valorisiert werden können.
DIE „HEIMATREGION DER GELATIERI", EINE TOURISTISCHE ATTRAKTION
In Anbetracht der geografischen Beschaffenheit des Gebietes und der Dislokation der diversen Zentren in welchen sich die historische Tradition der Speiseeiskunst entwickelt hat, war es uns nicht möglich eine „Strada dei Gelatieri" (Straße der Speiseeishersteller wie es sie z. B. bei den Weinen gibt) zu benennen. Es wurde allerdings beschlossen, der gesamten Region den Namen „Le Terre dei Gelatieri" zu geben. Eine historisch-touristische Attraktion, die den Interessenten durch ein breit gefächertes Informations-Angebot näher gebracht werden soll (Dokumente, historische Geräte, Bildmaterial, Veranstaltungen, Traditionen und Wissen), und welches Einblick in die Geschichte und den Werdegang der Eishersteller verschafft.
Es handelt sich dabei um eine Attraktion womit schon bestehende Besonderheiten und Angebote der Region zusätzlich bereichert werden können; von der Schönheit der Natur hin zu geschichtlichen Begebenheiten und den lokalen Traditionen (das Weltkulturerbe Dolomiten, Industrie der Nägel und Schlüssel, sowie der Brillengestelle, Murales` Wandmalereien, das Holz- und Steinmetzhandwerk, typische kulinarische Produkte, der Malermeister Tiziano Vecellio, der Staudamm von Vajont, usw.), sowie auch die „Strada dei Vini" (Weinstraße) im Gebiet um Treviso und nicht zu vergessen die kulinarischen Delikatessen. die für die Region kennzeichnend sind.